Gustav Wiehle *28.12.1870 — Rassismus als Legitimation zum Töten

Aus Erzählungen weiß ich, dass mein Urgroßvater, Gustav Wiehle, als Mitglied des deutschen Freiwilligenkorps ab 1905 aktiv an der „Mutter des Völkermordes im 20. Jahrhundert“ beteiligt war. Er hat als Teil dieser eigens nach Afrika bestellten Schutztruppe den Aufstand der Herero und der Nama gegen die deutsche Kolonialmacht mit niedergeschlagen.

Es ist bekannt, dass die deutschen Truppen die in die Wüste geflüchtete Zivilbevölkerung dort abriegeln und verdursten ließen. Andere wurden in Konzentrationslagern interniert, wo jeder zweite von ihnen starb. Die Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. Aber es überlebten nicht mehr als ein Drittel der Herero.

Ich will mich hier nicht an der Diskussion beteiligen, ob es sich bei diesem Kolonialkrieg um einen Völkermord handelte oder nicht. Unbestritten ist, dass die Gewalt über alle Maßen eskaliert und ins Extreme gekippt ist.

Für mich persönlich ist das Bild stimmig, dass meinem Urgroßvater das Metzeln der schwarzen Bevölkerung im heutigen Namibia ein Bedürfnis war. Und zwar aus der Haltung einer eigenen „rassischen Überlegenheit“ und aus der sich daraus ergebenden Rechtfertigung, die Herero und Nama mit aller Gewalt in ihre Schranken zurückzuweisen.

Die Bedeutung, die dem Wirken von Gustav Wiehle in Afrika von den nachfolgenden Generationen meiner Familie beigemessen wurde, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass mein Großvater Johannes mir Anfang der 80er Jahre ein Buch mit dem Titel: „Rettet Südwest“ schenkte. Er hatte von meinem erwachten politischen Interesse gehört und hielt es offenbar für wichtig, mich auf diesen Titel aufmerksam zu machen. Ein Buch voller faschistischer und rassistischer Parolen, das ich als damals 16-Jähriger irritiert zur Seite legte. Es war ein Versuch des Familiensystems, mich in den Komplex „Südwest“ zu verwickeln.

Und die seltsame „Sehnsucht nach Südwest“ drückt sich auch noch an anderer Stelle aus. Meine Großmutter Erna suchte dort mehrere Jahre nach einem Ehemann, bevor sie nach Deutschland zurückkehrte und schließlich Johannes heiratete. Der Kontakt ist nie abgerissen. Mein Vater besuchte noch die Nachfahren ihrer damaligen Gastgeberfamilie noch in den 2000er Jahren – mit großer Energie und Begeisterung über das Zusammentreffen.