Trauma wird vererbt

Die Familie, aus der wir stammen, prägt typischerweise die ersten Jahre unseres Lebens in fundamentaler Weise. Und in vielerlei Hinsicht auch das weitere Leben.

Dazu gehört, dass Belastungen aus Vorgenerationen weitergegeben werden. Hierzu gehören traumatisierende Kriegserfahrungen ebenso wie Gewalt innerhalb der Familie oder sexueller Missbrauch.

Die aktuelle Forschung (der letzten wenigstens 30 Jahre) ist da sehr klar. Und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Familien und deren Klärungen bzw. Nicht-Klärungen finden mittlerweile einen umfassenden Niederschlag in der Fachliteratur.

Ich möchte an dieser Stelle zwei Beispiele nennen:

Nationalismus, Rassismus und Gewalt über vier Generationen

Wenn ich den „männlichen Zweig“ meiner Familie anschaue, dann zieht sich Gewalt wie ein roter Faden von Generation zu Generation. Das beginnt mit meinem Urgroßvater Gustav, der Anfang der 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika an der Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama mitwirkte.

Es geht weiter mit meinem Großvater Johannes, der als 17-Jähriger in den ersten Weltkrieg musste – und dem im Stellungskrieg in den Schützengräben Flanderns in den letzten zwei Kriegsjahren die Seele weggeschossen wurde. Er fasste im Leben nie wirklich Fuß und schloss sich schon 1925 dem faschistischen Stahlhelm an. Ab 1928 war er dort hauptberuflich tätig in der Schießausbildung – mit dem klaren Ziel der Beseitigung der Weimarer Demokratie.

Mein Vater schließlich war bis zu seinem Lebensende stolz darauf, aus eigenem Antrieb auf eine Napola gegangen zu sein. Die Napola war im NS-Regime als „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ ein Elite-Internat.

Von dort wird er seine massive Gewalttätigkeit mitbekommen haben, die ich in Kindertagen oft genug zu spüren bekam. Seine herablassende Haltung gegenüber anderen, weniger (formal) gebildeten, haben viele zu spüren bekommen.

In der vierten Generation findet sich neben mir noch mein älterer Bruder. Auf ihm liegt die gleiche Last der Traumatisierungen und der Gewalt der beschriebenen Vorgenerationen. Von dem Weg, den er gewählt hat, möchte ich mich deutlich abgrenzen.

Auch von mütterlicher Seite ist mein Generationen-Erbe belastet. Neben den Erfahrungen bei der Flucht aus Ostpreußen und dem Überrolltwerden durch die Rote Armee liegen noch Themen im Dunkel. Dazu gehört das Profitieren von der Vertreibung bzw. Versklavung polnischer Bevölkerung. Ins besetzte Polen war die Familie meiner Großeltern 1941-1944 zur „Besiedlung neuen Lebensraumes im Osten“ übergesiedelt. In der Vorgeneration deuten sich Themen mit Inzest und Kindesmord an.

Die eigene Verantwortung

Die Verantwortung meiner Generation liegt nun darin, dies aufzuarbeiten und nicht wieder weiterzugeben. Anzusprechen, was war, und kein weiteres Unheil anzurichten.

Dazu muss man sich freilich den Themen stellen. Andernfalls macht man das Gleiche wie die Vorgenerationen. Und die Gefahr wird größer, dass Geschichte sich wiederholt.

Ich biete hier einen Abriss über die jeweiligen Prägungen meiner direkten männlichen Vorfahren:

„Man muss sich den Themen stellen. Andernfalls macht man das Gleiche wie die Vorgenerationen.“